Zusammenfassung
Für die Diagnostik von Erkrankungen spielen molekularbiologische Methoden bei schweren
angeborenen Krankheiten (z. B. Hämophilie A oder B) eine wichtige Rolle. Auch zur
Diagnostik polygenetischer Erkrankungen (z. B. venöse und arterielle Thrombosen) sind
sie unentbehrlich. Neben der Analyse der zwei häufigsten genetischen Defekte (Inversion
im Intron 22 und Intron 1) im Faktor-VIII-Gen als Ursache der schweren Hämophilie
A wurde in den vergangenen Jahren die Sequenzierung des Faktor-VIII-Gens in mehreren
Zentren eingeführt und wird nun in der Hämophilie- und Überträgerinnen- Diagnostik
eingesetzt. Bei Patienten mit Thrombophilie trägt der Nachweis von Mutationen im Protein-C-
und Protein-S-Gen zur Verbesserung der Diagnostik bei bekanntem familiären Protein-C-
bzw. -S-Mangel bei. Die Analysen der Arg506Gln-Mutation im Faktor-V-Gen (Faktor-V-Leiden)
und die 20210G>A-Mutation im Prothrombin-Gen, die das Risiko für venöse Thrombose
beeinflussen, können potenziell helfen, das individuelle Risiko für eine Thrombose
bzw. Rezidivthrombose besser einzuschätzen. Allerdings führt die unkritische Untersuchung
genetischer Ursachen der Thrombose zu keinem wesentlichen Informationsgewinn hinsichtlich
Behandlung und Beratung der Patienten und kostet Zeit und Geld. Daher sollen immer
nur jene Tests durchgeführt werden, die medizinische bzw. therapeutische Konsequenzen
nach sich ziehen. Trotz der Bedeutung der molekulargenetischen Diagnostik sind die
Einsatzmöglichkeiten der Mutationsdiagnostik im klinischen Alltag eines Gerinnungslabors
begrenzt. Große Studien haben gezeigt, dass eine Mutation nicht bei jedem Menschen
die gleiche Auswirkung hat, da endogene und exogene modulierende Faktoren den Phänotyp
beeinflussen. Da sehr wenig über modulierende Faktoren bekannt ist, ist es häufig
schwierig, die Auswirkung einer Mutation in ihrer Tragweite zu bewerten. Es ist daher
von außerordentlicher Wichtigkeit, die Forschung voranzutreiben, um Gen- Gen- und
Gen-Umwelt-Interaktionen zu verstehen, damit in Zukunft eine zuverlässige Interpretation
der Mutationsergebnisse möglich wird.
Summary
Molecular biological methods have become increasingly important not only in the diagnostics
of inherited monogenetic diseases such as hemophilia A or B but also in the diagnostics
of polygenetic diseases e.g. venous and arterial thrombosis. In haemophilia A, sequencing
of the factor VIII gene has been established in addition to the analysis of the two
most frequent genetic abnormalities, the inversions in intron 22 and intron 1, in
several centers. Molecular testing has proved helpful to identify haemophilia patients
at high risk to develop inhibitors as well as in carrier analysis. In patients with
familial protein C or protein S deficiency mutation analysis contributes to the verification
of the diagnosis. The frequently performed tests for the factor V Leiden mutation
and the prothrombin 20210G>A variation can potentially support the estimation of the
thrombotic risk as well as the risk of recurrence. However, any uncritical application
of these genetic tests does not improve diagnostics nor does it support therapeutic
decision making or counselling of the patient. Therefore, one should only do genetic
tests with medical or therapeutic consequences. The applicability of mutation analysis
in the daily routine is still limited in spite of the importance of molecular diagnostics
in the understanding of pathomechanisms of haemostatic disorders. As has been demonstrated
in large studies, the phenotypic effects of mutations can vary significantly between
individuals. Endogenous and exogenous modulators that are still largely unknown, play
a role. Currently, the understanding of these modulators is limited, and large multicenter
studies and meta-analyses are needed for a better understanding of gene-gene and gene-environment
interactions.
Schlüsselwörter
Blutgerinnung - Molekularbiologie - Thrombophilie - angeborene Blutungsneigung
Keywords
Blood coagulation - genetics - thrombophilia - inherited bleeding disorders